Kann man Träume in eine Zeitkapsel stecken und als Erinnerung für zukünftige Gäste eines Hauses hinterlassen?
EIN WUNDERBARES NEUES JAHR VOLL FARBE UND FREUDE! MÖGE DAS KULTUR - KARUSSELL SICH BALD WIEDER DREHEN! Ein Vorbild stellt sich spontan der Presse Von Claudia Kursawe „Josef Koudelka hat sich anscheinend unsichtbar gemacht. Er mag den Presserummel eben nicht“, dämpft Felix Hoffmann, Hauptkurator von C/O Berlin, die Erwartungen der unruhigen Fotografen. Überhaupt sind auffallend viele von ihnen zu der Eröffnung der Ausstellung „Invasion, Exiles, Wall“ gekommen. Koudelka ist Kult. Ob der erfahrene, deutsche Fotograf für Street Photography, oder der chilenische Fotograf, der im eigenen Land die Diktatur erlebte: Andächtig stehen sie vor den Schwarz-Weiß- Aufnahmen ihres Kollegen vom „Prager Frühling“ 1968. Aber auch seine späteren Bilder, als der Magnum Fotograf Koudelka im Exil leben musste und im Frühling und Sommer als Nomade durch ganz Europa streifte, üben eine starke Anziehungskraft aus. Es sind poetische, grafisch perfekte Bilder von Menschen und Landschaften, die Geschichten erzählen. „Jedes Foto hat sein eigenes Leben“, betont Xavier Barral, in Zusammenarbeit mit Sonia Voss Kurator der Ausstellung und Verleger in Paris. Die Ausstellung in Berlin sei das persönliche Destillat des Fotografen. Erstmals, nach fast dreißig Jahren, sind seine Bilder in Deutschland wieder zu sehen. Die Presseführung verlässt gerade den großen Raum mit Koudelkas Panoramaaufnahmen von der Mauer zwischen Israel und Westjordanland. Da heißt es: „Josef Koudelka sitzt jetzt im Café von C/O Berlin!“ Ein kurzes Zögern. Soll man ihm seine Ruhe gönnen, respektvoll Abstand halten? Schon ziehen die ersten Fotografen los. Neugierde und der Zeitdruck der Tagespresse siegen. Tatsächlich ist er da. Sportliche Weste mit vielen Taschen und selbst für die Straßen Berlins etwas zu stabile Schnürschuhen. Eben so, als er ginge er geradewegs zum Photowalk nach Spanien, Rumänien oder Irland. So wie früher, nur mit Schlafmatte, Kamera und meterweise Fotomaterial ausgestattet. „Ich brauche eben nicht viel für mich selbst“, gesteht der fast 80-Jährige. Photobücher signiere er nicht, weil er erlebt habe, wie sie bereits am nächsten Tag für hohe Preise verkauft würden. Und warum so viel erklären? „Meine Bilder sprechen für sich.“ Auf seine Arbeit in Israel bezogen, gesteht er ein, dass er anfangs Bedenken hatte, instrumentalisiert zu werden. Vier mal, von 2008 bis 2012, reiste er zum Fotografieren dorthin. „Die Verwundung der Landschaft durch die Mauer beschäftigt mich sehr“. Ob er sich auch vorstellen könne, Flüchtlinge zu fotografieren? „Nein, mir geht es nicht um Einzelporträts, sondern um Menschen in ihrer Landschaft und was daraus entsteht, wenn Politik mit im Spiel ist.“ Auf seine Schuhe angesprochen, antwortet er: „Das Wichtigste ist, dass man ein gutes Auge und gute Schuhe hat. Schau’ dir alles an und versuche zu entdecken, was dich wirklich interessiert. Und wenn du eine Beziehung dazu hast und es gut machst, dann konzentriere dich darauf und blende alles andere aus.“ Ganz zuletzt sagt er noch: „Alles hat seinen Preis, auch die Freiheit.“ Dann steht er auf, verabschiedet sich und zieht los. Claudia Kursawe Josef Koudelka bei seinem spontanen Pressegespräch Foto: C/O Berlin
Die Ausstellung "Visual Leader" in den Hamburger Deichtorhallen ist die Leistungsshow der Medien in Deutschland. Das Beste an Fotografien, Grafikdesign und Beiträgen, die in den letzten zwölf Monaten in deutschen Zeitschriften, Zeitung und Online-Medien publiziert wurden, ist dort bis zum 9. November zu sehen. Gekrönt wird die Ausstellung Ende Oktober mit der Verleihung der „Lead Awards“.
Unterschiedlicher kann es nicht sein: Hier das postergroße Selbstporträt einer jungen Frau (Lina Scheynius), die einen rosa Farn auf der bloßen Brust drapiert hat. Dort das Foto eines jungen Hooligans (Andrew Lubimov), dessen Gesicht blutig geschlagen ist. Ein Schock für den Betrachter. Beide Bilder sind, unter vielen Anderen, nominiert für die „Reportagefotografie des Jahres“. Und das ist nur eine der Wettbewerbskategorien. Erst kürzlich hat die Jury die möglichen Kandidaten für die „Lead Awards“ bekanntgegeben. Gesucht wird die „Fotografie des Jahres“ für Porträt, Architektur und Still-Life, Mood und Mode sowie der „Beitrag des Jahres“ in Zeitschriften und Zeitungen. Am 29. Oktober stehen die Sieger mit Auszeichnungen in Gold, Silber und Bronze fest. Ein Rezept für den Erfolg gibt es nicht. Die Schwedin Lina Scheynius führte ein visuelles Tagebuch über ihre romantischen Sommerferien. Der russische Fotograf Andrew Lubimow dagegen schleuste sich für seine Arbeit erst einmal in eine Hooligan-Gruppe ein und begleitet sie sechs Monate lang. Besonders eindrücklich sind auch die Bilder aus dem Leben eines Polarforschers von Evgenia Arbugaeva, die die Qualität eines Rembrandts haben. Bei dem Fotografen Armin Smailovic ist es der genaue Blick auf die in Armut lebende, südafrikanische Mutter mit Albinokindern. Die Entscheidung in dieser Kategorie wird der Jury sicher nicht leicht fallen. Im Bereich „Foto des Jahres“ stellen auffallend viele Bilder den Exodus der Flüchtlinge in den Mittelpunkt. So zum Beispiel der Screenshot eines Röntgengerätes der Flugsicherheit. Zu sehen: der Körper eines Jungen, der sich in einem Koffer versteckt hat. Er wollte seinem Vater nachreisen, der nach Spanien geflüchtet war. Was aber ist mit Konzept und Design der Magazine und Zeitungen? „Die Blattmacher haben in den letzten Jahren schon fast so etwas wie einen kreativen Quantensprung hingelegt“, stellt Markus Peichl, Vorsitzender der Lead Academy fest. „Kein Wunder“, findet Künstler und Ausstellungsführer Jeff Turek, „man kommt auf ganz andere Ideen, wenn einem die Pistole vor die Nase gehalten wird.“ Und tatsächlich wagen gerade auch Tageszeitungen inhaltlich und grafisch zunehmend mehr. Nominiert ist die Sonderausgabe im Berliner „Tagesspiegel“ zum Mauerfalljubiläum unter dem Titel: „25 Jahre Wahnsinn“. Den Reigen der Könner führt dieses Jahr die „Süddeutsche Zeitung“ mit vier Nominierungen an. Impulsgeber sind und bleiben die Magazine und Webfeatures. Neugründungen überraschen mit originellem Ansatz: Das Magazinprojekt „MC1R“ widmet sich ausschließlich dem Thema „Rothaarig“. Zu gerne würde man einmal die Zusammensetzung dieser Redaktion begutachten. – was für eine grausame Vorstellung. Und doch kennen wir dieses Unglück seit unserer Menschwerdung. Wer sich jetzt auf das Dach der Bundeskunsthalle in Bonn begibt, erlebt, wie spielerisch und witzig der „Ärger im Paradies“, so der Sinn gebende Titel der neuen Ausstellung, sein kann. Die Installationen zeitgenössischer Künstler sprühen vor Einfallsreichtum. Kanarienvögel dürfen zum Beispiel über den Kunsttempel fliegen. Aber nur, wenn sie dabei im dafür wie ein Looping gespannten Maschendrahttunnel bleiben. Dirigierte Natur gleich Kultur?
Aus dem Munde des Museumsdirektors Rein Wolfs, der zusammen mit Susanne Klein die Ausstellung konzipiert hat, klingt das so: „Ärger im Paradies sucht bewusst die Reibung, aber auch die Verführung und Verlockung durch die Reize natürlichen Wuchses.“ 14 internationale Künstler provozieren mit ihren Installationen zu neuen Sichtweisen und stellen den angeblichen Widerspruch zwischen Natur und Kultur in Frage. Unübersehbar sind jedenfalls die großen Strohballen in Regenbogenfarben, die sich im Doppelpack locker auf der Dachterrasse verteilen. Der Künstler Michael Beutler hat sie herstellen lassen. Fotografieren und darauf rumklettern ist erlaubt. Noch während man versucht, möglichst elegant ein Bein darauf zu setzen, um sich hoch zu schwingen, steht der offizielle „Fragenbeantworter“ da. Ja, die Ballen sind von einem speziellen Traktor traditionell gepresst worden. Nein, das ist kein Stroh. Das Material besteht aus Tausenden, jeweils einen Meter langen, bunten Sangria-Trinkhalmen. Aha! Das klingt doch recht lustvoll. Von den Ballen wieder runter und weiter zur Minigolfbahn. Irritierend nur, dass Ruinengebäude in Miniaturformat dabei umspielt werden müssen. Auf dem Weg dorthin tritt eine junge Frau plötzlich hinter dem blauen Kegelturm hervor. „Aux champs élysées....“, singt sie. Gut gelaunt kann man nun einstimmen oder aber einfach nur denken: „Was ist denn mit der los?“ Aber es ist Kunst, und zwar von Tino Sehgal mit dem Titel „This you“. Der natürliche Gesang kommt von der Interpretin spontan und intuitiv. Jedes Mal kann es ein neues Lied sein. Das Zusammentreffen zwischen Sängerin und Angesungenen ist dann die hohe Kunst der Kommunikation. Oder mit den Worten der Kuratorin Susanne Klein: „Nichts bleibt übrig vom Werk – nur der kurze, intensive und schöne Moment des gesanglichen Geschenks.“ Allein dafür lohnt sich der Weg nach Bonn. Claudia Kursawe TIPP: Ärger im Paradies Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland Bonn bis 11. Oktober 2015 http://www.bundeskunsthalle.de/index.html Helmut KuHN, Autor und Schachboxer„Boxen und Schachspielen passen ausgezeichnet zusammen, denn so lernt man, sich intelligent durchzuschlagen“. Das findet jedenfalls der Schriftsteller Helmut Kuhn, u.a. Autor des Buches „Gehwegschäden“. Beim Literarischen Spaziergang mit ihm, anlässlich des Festivals „Read! Berlin!“, führt er seine Zuhörer zu einem versteckten Fenster mit Blick auf einen leeren Boxring. Hier, in der Gormannstraße 13, ganz in der Nähe des Ausgehviertels der Hackeschen Höfe trifft sich wochentags der Verein „Chess Boxing Berlin“, die Urzelle der inzwischen weltweit vertretenen Schachboxer Clubs.
Und es ist der Kiez, in dem der Autor Helmut Kuhn lebt und trainiert. Er tänzelt mit den Beinen, schwingt die muskulösen Arme und hebt die Fäuste. Dann streicht er sich lächelnd die Haarsträhne aus dem Gesicht. Eigentlich ist er heute zum Lesen gekommen. „Gehwegschäden“ lautet der Titel seines in Collagetechnik geschriebenen Berlin Romans. Das Buch spielt in der Zeit, als die riesige, ehemalige SED-Verwaltungzentrale an der Torstraße 1 von Londoner Investoren in ein hippes Club Hotel mit Restaurants und SPA Bereich, das Soho Haus, umfunktioniert wurde. „Heuschrecken von der schlimmsten Sorte“, nennt der Romanheld die neuen Besitzer. „Das Haus hat immer denen gehört, die das Sagen hatten in Deutschland, (…) und die, die das Sagen haben, kann Frantz nicht leiden. Die sind ihm suspekt, (…). Die grenzen ihn aus. Die machen ihn wütend.“ Thomas Frantz, die Hauptfigur, ist Journalist und Schachboxer. Er heißt nicht zufällig so, denn der Autor bewundert Alfred Döblins Roman „Berlin Alexanderplatz, Die Geschichte vom Franz Biberkopf“. Beiden Figuren gemeinsam ist die finanziell schwierige Lage, in der sie sich durch den Großstadtdschungel Berlin kämpfen müssen. Sich behaupten zu müssen, kennt auch Helmut Kuhn als freier Journalist. Trotz Talent und biografischen Highlights. Er volontierte nach dem Geschichte und Publizistik Studium in New York bei der deutsch-jüdischen Zeitschrift Aufbau. Ging wieder nach Berlin und schreibt für die Süddeutsche Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung und Die Zeit. Seit den Streichungen von Geldern in den Zeitungsverlagen breitet sich aber nicht nur in Berlin das „Medienprekariat“ aus, Fachleute, die gut ausgebildet sind, aber wenig verdienen. „Ich schreibe auf, was ich sehe und spüre“, beschreibt Helmut Kuhn seine Antriebskraft als Autor. „Deshalb ist ja 26 Prozent meines Romans autobiographisch.“ Er beobachtet genau, was um ihn herum passiert. Wie ein Boxer seinen Gegner. Adrenalin und Wut kontrolliert er, um den nächsten, gut überlegten Zug zu machen. Eben wie ein erstklassiger Schachboxer. Claudia Kursawe Helmut Kuhn, Gehwegschäden, München 2013. · TIPP Chess Boxing in der Platoon Kunsthalle 9. Mai 2015, 20 Uhr Schönhauser Allee 9 10119 Berlin Bei dem Schnappschuss auf der Leipziger Buchmesse sind gleich fünf Frauen, ein Mann und ein monströser Bär zu sehen. Sie scheinen viel Spaß zu haben, da in die Welt der Bücher abgetaucht.
Das neue Buch aus dem Ebersbach & Simon Verlag heißt nicht ohne Grund „Büchernärrinnen“. An der Kleidung der Leserin auf dem Cover erkennt man sofort, dass es sich um Frauen aus der Vergangenheit handelt. Ihre Büchersucht war legendär. Sie trieb die Porträtierten beispielsweise dazu an, sich Bücherkisten auf eine einsame Farm nach Afrika schicken zu lassen. Ein andere holte sich ihre Inspiration zum Schreiben, indem sie als Varietékünstlerin auftrat. Und wer möchte nicht wie Virginia Woolf die Druckerfarbe an den Fingern haben und neue Gedanken und Geschichten in die Welt bringen? Voller Enthusiasmus sind auch die beide Verlegerinnen. Brigitte Ebersbach steuert ihren Verlag bereits seit 25 Jahren, aktuell mit Titeln wie: „Jahre sind nur Kleider“ oder „Am Puls der Zeit, Frauen in New York“ oder „Schöne Berlinerinnen“. Seit Kurzem mit dabei ist Sascha Nicoletta Simon. Ihr gehörte früher der Tulipan Verlag, in dem unter ihrer Regie smarte Kinderbücher, wie „Cowboy Klaus und die harten Hühner“ herauskamen. Welche Richtung nun wohl die beiden Profis einschlagen werden? Doch nun zurück zum Foto. Ein Mann mit Kappe im Hintergrund ist zu erkennen. Er scheint kurz mal auf den Stand aufzupassen, während die Verlegerinnen ihre „Büchernärrinnen“ vorstellen. Das Cover des Buches gibt derjenigen, die das Buch erstmals in die Hand nimmt, Rätsel auf. Wer ist die Frau, und liest es sich auf einem Bärenfell drapiert ganz anders? Claudia Kursawe · TIPP Büchernärrinnen Café Haberland, 24. Juni 2015, 20 Uhr U-Bahnhof Bayerischer Platz 10779 Berlin–Schöneberg Eintritt frei |
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